Früh übt sich, wer ein Meister werden will“, lautet ein bekanntes Sprichwort. Pädagoginnen und Pädagogen wissen, dass darin einiges an Gehalt steckt, denn in den ersten Jahren werden die Grundlagen für die weiterführende Schulbildung gelegt. Das unterstreicht auch der bekannte österreichische Bildungsexperte Andreas Salcher: „Wenn es uns nicht gelingt, massiv in die Elementarpädagogik zu investieren, schleppen wir Probleme mit, die immer dramatischer werden. Am Ende landen wir bei einem Fünftel von Kindern, die die Pflichtschule fertig haben, aber nicht sinnerfassend lesen können.“ Diese ersten Weichenstellungen sind damit im wahrsten Sinne des Wortes „elementar“. Dieses Prinzip ist offenkundig auch der Tiroler Landesregierung bewusst. Sie hat letztes Jahr beschlossen, in Tirol als erstem Bundesland ab 2026 ein Recht auf Vermittlung eines Kinderbildungs- und -betreuungsplatzes zu verankern. Alle Kinder ab zwei Jahren sollen in Tirol ein Recht haben, dass ihnen ein hochwertiger, bedarfsgerechter, leistbarer, ganzjähriger und ganztägiger Kinderbildungs- und Kinderbetreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird. Konkret geht es um Kindergärten, Kinderkrippen, Horte und Tageseltern.
Die Landesregierung hat die Ernsthaftigkeit des Vorhabens unter anderem dadurch unterstrichen, indem eine eigene Abteilung „Elementarbildung und allgemeines Bildungswesen“ mit Alexander Heiß als Vorstand ins Leben gerufen wurde. Einerseits wird damit die Kinderbetreuung in Tirol ausgebaut, um insbesondere Frauen den Zugang zu Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Andererseits geht es darum, in die Elementarbildung der Kinder zu investieren, um so optimale Voraussetzungen für ihre Schullaufbahn zu schaffen. Die Kinderbildung- und Kinderbetreuung ist primär Aufgabe der öffentlichen Hand, doch auch die Wirtschaft bietet Unterstützung. „In den letzten Jahren sind speziell in größeren Unternehmen eigene Betriebskinderkrippen und -kindergärten entstanden, die eine wertvolle Ergänzung zum öffentlichen Angebot darstellen“, weiß WK-Vizepräsidentin und Landesvorsitzende von „Frau in der Wirtschaft“, Martina Entner. Für interessierte Betriebe bietet die WK Tirol entsprechende Informationen, unter anderem wird in den nächsten Tagen ein eigener Leitfaden für die betriebliche Kinderbetreuung erscheinen.
Wie es um die Kinderbetreuung in Tirol aktuell bestellt ist, hat die Direktorin des Instituts Eco Austria, Monika Köppl-Turyna, im Auftrag der Wirtschaftskammer Tirol im Zuge der Studie „Effizienz von öffentlichen Leistungen und Diensten des Bundeslandes Tirol und seiner Gemeinden“ erhoben. Bei der Kinderbetreuung erreicht Tirol zwar das effizienteste Ergebnis unter den österreichischen Bundesländern – allerdings nicht ohne einen Wermutstropfen: auch das Angebot ist in Tirol am wenigsten umfangreich. Aufholbedarf gibt es bei Betreuungsangeboten für unter 3-jährige, bei den Öffnungszeiten und den Schließtagen. Alexander Heiß ist mit seiner Abteilung gefordert, einerseits die organisatorischen Voraussetzungen für eine bestmögliche Kinderbildung und -betreuung zu schaffen, andererseits inhaltlich neue Qualitätsstandards zu gewährleisten.
Organisatorische Herausforderungen
Dieser Bereich umfasst zwei große Punkte: den Ausbau entsprechender Infrastruktur sowie die Rekrutierung und Ausbildung von qualifiziertem Personal, um den verankerten Bildungsauftrag umzusetzen. Dabei wird nicht nur auf den Neubau von Betreuungseinrichtungen gesetzt, sondern auch auf den Ausbau und die Vernetzung bestehender Einrichtungen. Wie Kinderbildung und -betreuung in Zukunft aussehen kann, zeigt schon jetzt ein Beispiel aus Osttirol: Das Osttiroler Kinderbetreuungszentrum (OKZ) ist ein Sozialverein, in dem 1- bis 14-jährige Kinder ganztägig und ganzjährig betreut werden, mit nur 5 Fenstertagen im Jahr. Die Öffnungszeiten von Montag bis Freitag erstrecken sich von 6.00 bis 19.30 Uhr. Das Gesamtangebot reicht von Kinderkrippen über einen Kindergarten bis hin zu Schülerhorten inklusive eines eigenen Bring- und Abholdienst zwischen den unterschiedlichen Standorten. In der Zusammenarbeit aller ist damit ein Angebot entstanden, das Maßstäbe setzt.
Neben Infrastrukturinvestitionen stehen die nötigen quantitativen und qualitativen personellen Kapazitäten im Fokus. Für die personelle Offensive greift das Land tief in die Tasche. Alexander Heiß rechnet damit, dass in den nächsten Jahren die Kosten für den personellen Aufwand im Elementarbereich weiter ansteigen werden. Beibehalten wird das bewährte Konzept der Doppelbesetzung in Kinderbildungs- und Kinderbetreuungseinrichtungen, bestehend aus einer pädagogischen Fachkraft und einer Assistenzkraft. Für letztere wurde erhoben, dass die Wohnorte im Durchschnitt nur 2 Kilometer von den jeweiligen Einrichtungen entfernt liegen. „Das bedeutet, dass hier viele attraktive Arbeitsplätze direkt vor Ort entstehen“, erklärt Heiß. Derzeit ist geplant, die Ausbildungsmöglichkeiten für Pädagog:innen, Assistent:innen und Tageseltern sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf die Standorte auszuweiten, um genügend Interessierte anzusprechen, betont Heiß. Auch in Bezug auf die Weiterbildung werden neue Schritte gesetzt. So ist eine Weiterbildung an der Pädagogischen Hochschule kostenlos möglich, gesetzlich sind 15 Stunden jährlich verpflichtend verankert. Auch neue Ausbildungs-Wege werden beschritten: So können Assistenzkräfte der Stadt Innsbruck 12 Stunden im Betrieb erbringen und 8 Stunden für die Qualifizierung als pädagogische Fachkraft zu verwenden. Auch bundesweit werden mit der Qualifizierungsoffensive „Elementar plus“ oder dem Hochschullehrgang Quereinstieg Elementarpädagogik neue Möglichkeiten eröffnet. „Unsere Fachkräfte in der Kinderbildung- und Kinderbetreuung leisten herausragende Arbeit. Das wollen wir einerseits mit dem nötigen Respekt seitens der öffentlichen Hand unterstreichen, andererseits sollen unsere engagierten Fachkräfte auch attraktive Aus– und Weiterbildungsangebote erhalten“, unterstreicht Alexander Heiß.
Inhaltliche Herausforderungen
Naturgemäß sind organisatorische und inhaltliche Herausforderungen verknüpft. „Gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen sowie geeignete Räumlichkeiten sind die Voraussetzungen, um die Qualität in der Kinderbildung und Kinderbetreuung zu erreichen. Ein ganzjähriges und ganztägiges Angebot hilft zudem dabei, intensiv mit den Kindern zu arbeiten und deren Entwicklung kontinuierlich zu fördern“, erklärt Alexander Heiß. Eine zentrale Herausforderung in Kinderbildungseinrichtungen ist die zunehmende Internationalisierung. In Zukunft werden multiprofessionelle Teams zur Verfügung stehen, die speziell bei schwierigen Gruppenkonstellationen Unterstützung bieten. Bei einem hohen Anteil an Kindern mit Sprachförderbedarf wurde bereits in den letzten Jahren die Verstärkung durch zusätzliches Personal massiv ausgebaut. Hand in Hand mit der zunehmenden Internationalisierung geht die Stärkung der Sprachkompetenz. „Für das Erlernen von Schreiben und Lesen ist die Sprache Voraussetzung. Und wer nicht lesen und schreiben kann, der kann auch nicht rechnen. Daher ist es extrem wichtig, dass die Grundlagen der Sprachkompetenz in der Elementarstufe gelegt werden“, unterstreicht der Leiter der Bildungsabteilung der WK Tirol, Hannes Huber.
Besonderes Augenmerk wird in Tirol auf den Bereich MINT (Mathematik-Informatik-Naturwissenschaften- Technik) gelegt. In der Tiroler MINT-Strategie ist eine frühe Förderung der Kinder in diesem Bereich festgeschrieben. „Wir berücksichtigen MINT als Inhalt in der Ausbildung der Pädagog:innen, aber es gibt hier noch Luft nach oben“, hält Alexander Heiß fest. Seitens des Landes werden auch MINT-affine Formate in den Bildungseinrichtungen unterstützt, wie etwa das Projekt „Spürnasenecke“. Diese bieten spezielle Ausstattungen für Kindergärten und Volksschulen mit eigens dafür entwickelten Möbeln sowie verschiedensten Forscherutensilien aus dem MINT-Bereich zum Forschen und Experimentieren mit Kindern. „Die Spürnasenecken eignet sich als Leuchtturm im MINTBereich bei Kindern. Finanzielle Förderungen seitens der öffentlichen Hand für dieses Projekt wären wünschenswert“, erklärt Hannes Huber.
Die wichtigsten Eckpunkte
Fragt man Alexander Heiß nach den fünf wichtigsten Maßnahmen, für die seine Abteilung verantwortlich ist, erhält man folgende Antwort. Erstens: die Umsetzung des Rechts auf Vermittlung eines Kinderbildungs- und Kinderbetreuungsplatzes. Zweitens: die Forcierung der Aus- und Weiterbildung des Kinderbildungs- und -betreuungspersonals. Drittens: die Infrastrukturoffensive des Landes sowie die Unterstützung der Gemeinden in diesem Bereich. Viertens: die Verbesserung der Berufsbildung der Pädagoginnen und Pädagogen sowie der Hebung des Berufsimages. Fünftens: verwaltungstechnische Vereinfachungen. So soll etwa das Anmeldungsprocedere digitalisiert werden. Das Ziel ist, dass 90 % der Betreuungsplätze bereits über die Erstanmeldung bedient werden.
In Tirol ist durch den Beschluss der Landesregierung Kinderbildung und -betreuung zur Chefsache geworden. Der Rechtsanspruch ist ein Meilenstein, der positive Auswirkungen nicht nur für die Kinder und Familien hat, sondern auch auf den Wirtschaftsstandort Tirol ausstrahlt. „Hochqualitative Elementarbildung schafft die Voraussetzung für berufliche Karrieren, eine professionelle Kinderbetreuung ermöglicht Eltern Freiräume für ihre eigene Erwerbstätigkeit. Damit ist Kinderbildung und -betreuung im wahrsten Sinne des Wortes eine Zukunftsfrage“, betont Hannes Huber.