Häufig wird bei der Beurteilung von Unternehmen danach unterschieden, ob sie stabil, flexibel oder agil agieren. „Diese strikte Abgrenzung ist jedoch falsch. Denn es handelt sich hier nicht um ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch“, erklärt der Leiter des WK-Bildungsconsultings, Wolfgang Sparer. Am deutlichsten lässt sich das mit Beispielen erläutern. Das Ziel der stabilen Dimension ist perfekte Planung und Organisation sowie Effizienz und Optimierung. Das ist bei Projekten mit bekannten Abläufen ebenso wichtig wie bei der Zeitoptimierung von Prozessen oder der Qualitätsorientierung in der Fertigung. „In diesen Fällen lässt sich weder mit flexiblen noch mit agilen Zugängen etwas gewinnen, hier geht es ausschließlich darum, die stabile Dimension bestmöglich umzusetzen“, betont Wolfgang Sparer. Das Ziel der zweiten Dimension, der Flexibilität, ist die Optimierung der Zusammenarbeit und eine bestmögliche Abstimmung zwischen den Akteuren. Das ist beispielsweise bei der Umsetzung komplexer Aufträge, bei Serviceprozessen außerhalb von Standards sowie beim Nutzen von Synergien zwischen einzelnen Abteilungen der richtige Zugang. Agilität wiederum passt bei innovativen Produkten, komplexen Herausforderungen und unsicheren Lösungen. Anwendungen mit herausragender Kompetenz sowie einer außergewöhnlichen Spezialisierung und Positionierung greifen hier auf die Instrumente zu, die Agilität bietet.
Agilität und Coaching
Eine Organisation kann somit gleichzeitig in allen drei Dimensionen – der stabilen, der flexiblen und der agilen – arbeiten, und sie muss es auch, um den unterschiedlichen Aufgaben bestmöglich gerecht zu werden. „Bis vor einiger Zeit hieß es, Agilität sei das Patentrezept für alles“, so Wolfgang Sparer, „aber zum Glück gibt es in der Wirtschaft keine Patentrezepte. Agilität ist in bestimmten Funktionen, für bestimmte Personen und Situationen goldrichtig – aber eben nicht immer. Unternehmen können und müssen nicht in die totale Agilität transferiert werden. „Es ist Chefsache, alle drei Dimensionen im Unternehmen zu verankern und einen entsprechenden Wandel innerhalb der Firma auszulösen“, erklärt Sparer. Für die Dimension der Stabilität und Flexibilität gibt es seit Jahrzehnten erprobte, teils hierarchische Führungsinstrumente. „Dort, wo jedoch agiles Denken und Handeln seinen Platz hat, braucht es auch die passende Führungsmethode, um das volle Potenzial zur Wirkung zu bringen. Das Mittel der Wahl im Bereich der Agilität ist das Coaching“, unterstreicht Wolfgang Sparer. Coaching ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Dienstleistungen und Gesprächsmethoden. In der Führung wird Coaching als Gesprächsführung verstanden, die keine direkten Lösungsvorschläge liefert, sondern die Entwicklung eigener Lösungen auf Seiten der Mitarbeiter:innen begleitet. „Auch wenn der Begriff Coaching im Bereich der Lebensführung inflationär zu finden ist, wird er sich in Management und Führung als wichtiges Instrument etablieren – und zwar in Betrieben jeder Größenordnung“, ist Sparer überzeugt. Durch den Wertewandel und die Diskussion um die neuen Generationen bekommen die Themen Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung eine neue Bedeutung. Die Aufgabe der Führungskräfte ist es, durch ihre eigene Persönlichkeit und ihre positive Haltung zur Entwicklung von Menschen beizutragen sowie die Leistungsfähigkeit und die Potenzialentfaltung bei Mitarbeiter:innen systematisch zu fördern. Je stärker dabei die Mitarbeiter:innen einbezogen werden und ihre Selbstwirksamkeit erkennen, umso besser ist die Identifikation mit der Aufgabe und der Beitrag zur Entwicklung der Organisation.
Coaching als Führungselement
1. Zielcoaching
Beim Zielcoaching geht es darum, durch die ständige Anwendung von Coachingtechniken ein Bewusstsein für die Bedeutung von Zielen zu erzeugen und daraus neue Routinen und Denkmuster zu entwickeln. Insbesondere, wenn noch nicht klar ist, wie bestimmte Ziele erreicht werden können, wird durch dieses Vorgehen eine positive Sicht auf die Herausforderung ermöglicht. Das ist Voraussetzung dafür, damit auch schwierige Ziele als erreichbar angesehen und Probleme als Lernchancen definiert werden. Die Methode des Zielcoachings wird sehr erfolgreich im Lean Management angewandt und lässt sich mit kleinen Adaptierungen nahezu in jeder Organisation einsetzen.
2. Offenes Coaching
Im offenen Coaching nimmt die Führungskraft die Rolle eines Partners ein, der Mitarbeiter:innen Unterstützung bietet, um individuelle Herausforderungen anzugehen und Lösungswege zu entwickeln. Diese Methode ähnelt am ehesten jener Fragetechnik, die auch von einem externen Coach eingesetzt wird. Wesentlich für die erfolgreiche Anwendung ist, dass die Führungskraft ehrliches Interesse darin hat, eine Hilfestellung zu bieten und damit nicht in die Rolle des Besserwissens verfällt. Die Gefahr besteht nämlich darin, dass die Fragen als Prüfung und eben nicht als Interesse am Menschen und seinen Themen empfunden werden. Gerade hier brauchen Führungskräfte Unterstützung und Korrektur, da sie bei jungen Menschen oftmals lehrmeisternd empfunden werden. Auch darf diese Technik nie als manipulativ empfunden werden, da sie sonst dauerhaft das Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter:innen und Führungskräften zerstört.
3. Teamcoaching
Der Austausch von Führungskräften hat allgemein eine hohe Tradition. Wenn es allerdings darum geht, konkrete Führungsfragen zu besprechen, so ist das für viele neu. Doch gerade dieser Ansatz wird in Zukunft bedeutsamer werden. Bei der Entwicklung von erfolgreichen Unternehmen müssen Aspekte der Mitarbeiterentwicklung und -förderung gemeinsam angegangen werden und es braucht einen maximalen Praxisbezug bei der Bearbeitung von Führungsfragen. Damit dies in einer offenen und wertschätzenden Form passiert, können einem Führungskräfteteam entsprechende Instrumente zur Verfügung gestellt werden. Diese reichen von Fragetechniken über Analyseinstrumenten hin bis zu Trainings mit Beispielen aus der eigenen Praxis.
4. Entwicklungscoaching
Beim Entwicklungscoaching übernimmt die Führungskraft die Rolle der Förderin bzw. des Förderers. Systematisch werden die Potenziale definiert, welche im Sinne der Mitarbeiterin / des Mitarbeiters und des Unternehmens ausgebaut werden sollen. Danach wird ein gemeinsamer Weg vereinbart, wie diese Ressourcen gewinnbringend für beide Seiten erschlossen werden können. Die Instrumente, die dabei zur Verfügung stehen, sind sehr vielfältig, setzen aber voraus, dass die Führungskraft sowohl von der Gesprächstechnik als auch von der Persönlichkeit vorbildhaft fungiert und Erfahrung darin besitzt, die Zukunft strategisch und operativ zu gestalten.
Fazit
Im deutschen Sprachgebrauch ist Coaching zwar noch als Beratung durch Externe bekannt, es hat sich aber in modern geführten Unternehmen bereits als effektives Führungsinstrument in Bereichen etabliert, wo Agilität gefragt ist. Coaching als Führungsinstrument kann andere Führungsstile nicht ersetzen, diese aber bei Personal mit höherem Reifegrad perfekt ergänzen. „Coaching ist anspruchsvolles Leadership, aber dennoch gut erlernbar. Es ist geeignet, die Motivation der Mitarbeiter:innen zu verbessern und führt zu einer stärkeren Identifikation mit der Aufgabe. Das schlägt sich in besseren Betriebsergebnissen nieder und wird damit zu einem messbaren Erfolgsfaktor für das Unternehmen“, so Wolfgang Sparer abschließend.
Quelle: Den Originalartikel finden Sie in der Tiroler Wirtschaft, 26.09.2024 auf Seite 48.