BILDUNG. Das Konzept der Übungsfirma ist in Handelsakademien und Handelsschulen verpflichtend verankert. Das verschafft den Absolventinnen und Absolventen einen spürbaren Vorsprung im Berufsleben.
Frägt man Arbeitgeber, was sie sich von der schulischen Ausbildung wünschen, wird die Antwort so oder so ähnlich lauten: „Die Förderung des unternehmerischen Denkens, das Erkennen von Wirtschaftszusammenhängen, den Erwerb von Schlüsselqualifikationen und die Anwendung von Fremdsprachen – und das alles auf Basis moderner Informationstechnologien.“ Manche Betriebe sind überrascht, dass genau darin die pädagogischen Schwerpunkte von Übungsfirmen liegen. Aber auch Schülerinnen und Schüler stellen sich oft die Frage, warum sie bestimmte Inhalte lernen müssen und wie diese in der Praxis Anwendung finden. All diese Fragen lösen sich in Übungsfirmen in Luft auf – es wird schnell klar, welche Bedeutung Fachkenntnisse im „echten“ Leben haben. Genau aus diesen Gründen wurde das Konzept der Übungsfirma vor nunmehr dreißig Jahren als verpflichtender Unterricht in den Lehrplan der Handelsakademien (HAK) und Handelsschulen (HAS) aufgenommen. Das heimische Modell der Übungsfirma wurde zudem von vielen Ländern übernommen, wodurch Österreich zu einer führenden Nation auf dem Übungsfirmenmarkt geworden ist – eine Parallele zur heimischen Lehre, die ebenfalls weltweit kopiert wird.
Trainingscamp für Schlüsselqualifikationen
Übungsfirmen bieten die Möglichkeit, theoretische Kenntnisse unmittelbar in die Praxis umzusetzen und neues Wissen durch aktives Lernhandeln zu erwerben. Die Praxisnähe wird noch weiter gesteigert, wenn auf das Know-how eines realen Partnerbetriebs zurückgegriffen werden kann. „Das Lernen in Übungsfirmen unterscheidet sich deutlich von herkömmlichen Unterrichtsmethoden. Es findet aktiv und motiviert statt, wobei die Lernenden eigenverantwortlich und selbstständig agieren“, betont Rudolf Gschwentner, der bei der Organisation von Übungsfirmen in Tirol federführend ist. Die Lehrpersonen fungieren nicht im klassischen Sinne als Unterrichtende, sondern betreuen und coachen die Schülerinnen und Schüler. Durch die weltweite Vernetzung von rund 7.000 Übungsfirmen werden internationale Geschäftskontakte geknüpft. Eine Übungsfirma fungiert als Handels- oder Dienstleistungsbetrieb, wobei jedoch die Waren, Dienstleistungen und das benötigte Geld nicht real existieren - in der heutigen virtuellen Welt fällt dies jedoch kaum auf. Alle geschäftlichen Transaktionen und Arbeiten, die branchenspezifischen Geschäftsfällen entsprechen, werden unter Berücksichtigung der kaufmännischen Usancen und rechtlichen Voraussetzungen durchgeführt. Steuern und Abgaben werden entrichtet, und sämtliche notwendigen Behördenwege werden online erledigt. Die Übungsfirma stellt somit ein sehr realistisches Modell eines echten Unternehmens dar und ist aus dem österreichischen Bildungssystem nicht mehr wegzudenken.
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
Im Rahmen des Zertifizierungsprozesses können sich alle aktiven Übungsfirmen aus Österreich und Südtirol, die im jeweiligen Firmenbuch eingetragen sind, dem QualitätsAudit unterziehen. Mit der Erfüllung eines anspruchsvollen Kriterienkatalogs erfolgt die Zertifizierung. Die Überreichung der Zertifikate fand heuer im Festsaal der Tiroler Wirtschaftskammer statt – auch das macht die enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft deutlich. Im Rahmen der Veranstaltung überreichte Jeanette Hausberger (Bildungsdirektion Tirol) gemeinsam mit dem Tiroler ARGE-Leiter Rudolf Gschwentner im Beisein von Bildungsconsulting-Leiter Wolfgang Sparer die Urkunden. „Wir begnügen uns nicht mit der bloßen Umsetzung in die Praxis – es kommt darauf an, dass die Qualität passt“, erklärt Rudolf Gschwentner die Motivation für die Teilnahme am Audit.
Mitarbeiter:innen und Unternehmer:innen von morgen
Die Wirtschaft hat längst erkannt, welchen Mehrwert Absolventinnen und Absolventen von Übungsfirmen bieten. Die Schülerinnen und Schüler verfügen über praktische Erfahrungen aus ihrer Übungsfirma, sind gewohnt, Verantwortung zu übernehmen und haben Übung im Umgang mit Geschäftspartner:innen, Kolleg:innenen und Vorgesetzten. Sie haben bereits Höhen und Tiefen des kaufmännischen Lebens kennengelernt und sind daher auch im „echten“ Berufsleben nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Daher bevorzugen viele Unternehmen Absolventinnen und Absolventen von Übungsfirmen bei der Personalsuche. Zudem fördert die Arbeit in einer Übungsfirma unternehmerisches Denken und unterstützt die Entwicklung eigener Geschäftsideen. „Die Übungsfirma ist ein wegweisendes Konzept, das die Anforderungen der Wirtschaft nach mehr Praxisorientierung und Integration moderner Technologien in den Unterricht erfüllt. Sie schafft eine Brücke zwischen Lernen und Können, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Schule und Berufsleben, vermittelt wichtige Schlüsselqualifikationen und bereitet die Schülerinnen und Schüler auf die Anforderungen einer sich wandelnden Arbeitswelt vor“, unterstreicht der Leiter des Bildungsconsultings, Wolfgang Sparer den Stellenwert von Übungsfirmen für den Standort Tirol.
Zahlen, Daten, Fakten
Übungsfirmen in Österreich werden von der Servicestelle ACT (Austrian Center for Training Firms) betreut. Die Erfolgszahlen können sich sehen lassen.
- Wöchentlich werden 35.000 Arbeitsstunden in Übungsfirmen in Österreich geleistet.
- Die ACT Schulungstools (Bank, Finanzamt, Sozialversicherung, Kreditrechner, Haushaltsplan u.a.) stehen für alle Unterrichtsgegenstände online zur Verfügung.
- Etwa 40 % der Übungsfirmen kooperieren mit Partnerfirmen aus der Praxis.
- Übungsfirmen sind ein USP der Ausbildung an kaufmännische Schulen und in den Lehrplänen von HAK und HAS verpflichtend verankert.
- Die Methode Übungsfirma wurde als eine besondere Umsetzungsmöglichkeit der praxisorientierten Entrepreneurship-Education im Rahmen von verschiedenen EU–Projekten in mehr als zehn europäische Länder exportiert.
- Jedes Jahr finden Übungsfirma–Messen an Schulen, im Bundesland oder online statt. Die österreichischen Übungsfirmen nehmen auch an Messen im Ausland teil.
- Alle Angebote von ACT stehen online zur Verfügung und werden während der Schulzeit wöchentlich 40.000-mal aufgerufen.