Verhandlungsstrategien. Verhandlungen nach dem Konsensprinzip sind die Regel am Wirtschaftsstandort Tirol. Manchmal ziehen aber auch düstere Wolken auf und es ist nötig, sich dagegen zu wappnen. Wer die Mechanismen des Konsens- und des Konfliktprinzips kennt, ist für jede Situation gerüstet.
Nicht jede Verhandlung verläuft nach dem gleichen Muster. Die eine Seite des Spektrums kennt jede Unternehmerin und jeder Unternehmer aus seiner eigenen Praxis: Gespräche mit Mitarbeiter:innen, Vereinbarungen mit Partnerfirmen, Verträge mit Berater:innen – alles unaufgeregt und auf Augenhöhe. Die andere Seite kennen wir spätestens seit dem Eklat zwischen Putin und Selenskyj. Hier ging es nicht um nachhaltige Beziehungen, nicht um gegenseitigen Respekt, nicht um Fairness. Es ging ausschließlich darum, wer als Gewinner und wer als Verlierer den Raum verlässt.
Diese Art des Verhandelns ist zugegebenermaßen nicht besonders erstrebenswert – aber falls eine solche Situation vorkommen sollte, nützt die Kenntnis über Maßnahmen und Gegenmaßnahmen, um seine Position zu verteidigen. Wie sich Verhandlungen entwickeln, lässt sich im Vorfeld oft abschätzen – aber nicht immer. Daher ist es essenziell, beide Verhandlungsmodelle zu kennen und gezielt einzusetzen. Ein konsensorientierter Ansatz scheitert bei harten Verhandlungen – und umgekehrt. Wer beide Strategien beherrscht, kann flexibel agieren und das bestmögliche Ergebnis erzielen.
Verhandeln nach dem Konsensprinzip
Das konsensorientierte Harvard-Konzept ist ein kooperativer und problemlösungsorientierter Ansatz, der darauf abzielt, langanhaltende Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Vier Kernprinzipien bilden die Bausteine, um Win-Win-Beziehungen entstehen zu lassen. „In einer kleinstrukturierten Wirtschaft wie am Standort Tirol ist dieses Prinzip die Regel. Schließlich kennt man sich, will auf Dauer zusammenarbeiten und weiß die positiven Nebenwirkungen des Konzepts zu schätzen: Vertrauen, Loyalität, Nachhaltigkeit. Diese Art der Zusammenarbeit hat unseren Standort stark gemacht und sorgt auch in schwierigen Zeiten für Stabilität und Kontinuität“, betont der Leiter des Bildungsconsultings der WK Tirol, Wolfgang Sparer.
Das erste Kernprinzip des Harvard-Konzepts liegt in der Trennung von Menschen und Problemen. Es wird zwischen der emotionalen, zwischenmenschlichen Ebene und den sachlichen, faktenbasierten Interessen unterschieden. Dies gelingt durch aktives Zuhören, empathisches Verständnis und die frühzeitige Klärung von Konflikten auf Beziehungsebene. Indem auf persönliche Kritik verzichtet und stattdessen sachliche Probleme adressiert werden, können konstruktive Lösungen entwickelt werden.
Der zweite zentrale Aspekt ist der Fokus auf die zugrunde liegenden Interessen, anstatt sich auf starre Positionen zu versteifen. Hinter festgefahrenen Standpunkten verbergen sich oft wesentliche Bedürfnisse, deren Ermittlung Raum für Kompromisse und kreative Lösungsansätze eröffnet. Es ist daher sinnvoll, systematisch nach den Gründen und Hintergründen von Forderungen zu fragen, anstatt sich in einem direkten Positionskampf zu verstricken.
Darüber hinaus legt das Harvard-Konzept großen Wert auf die gemeinsame Entwicklung von Optionen. Bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird, sollte ein breites Spektrum an Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden, von denen beide Seiten profitieren. Dieser kollaborative Ansatz stärkt das gegenseitige Vertrauen und erhöht die Chancen, eine für alle Beteiligten akzeptable Übereinkunft zu erreichen.
Schließlich betont das Konzept die Anwendung objektiver Entscheidungskriterien. Entscheidungen beruhen nicht auf subjektiven Einschätzungen, sondern auf neutralen Maßstäben wie Marktpreisen, gesetzlichen Vorgaben oder Expertenmeinungen. Bereits im Vorfeld sollten unabhängige Standards vereinbart werden, um späteren Diskussionen über die Fairness der Ergebnisse vorzubeugen.
Insgesamt bietet das Harvard-Konzept einen strukturierten Rahmen, der auf Kooperation, Klarheit und gegenseitigem Respekt beruht – Eigenschaften, die nicht nur zu erfolgreichen Verhandlungen führen, sondern auch langfristig stabile und nachhaltige Geschäftsbeziehungen fördern.
Beispiel für eine Verhandlungssituation nach dem Konsensprinzip
Ein Unternehmen möchte mit einem zweiten Unternehmen einer verwandten Branche eine langfristige Partnerschaft eingehen, die auch einen gemeinsamen Marktauftritt beinhaltet. Es geht um den Rahmen der Zusammenarbeit sowie eine faire Aufteilung der Kosten..
Menschen und Probleme trennen:
• Statt sich gegenseitig für hohe Kosten oder schwierige Bedingungen verantwortlich zu machen, suchen beide sachlich nach einer Lösung.
• Differenzen werden nicht als persönliche Angriffe gewertet, sondern als gemeinsame Herausforderungen.
Fokus auf Interessen, nicht Positionen:
• Ein Unternehmen will Kosten senken, das andere eine gleichberechtigte Markenpräsenz.
• Beide streben eine faire Zusammenarbeit mit ausgewogener Risiko- und Chancenverteilung an.
Optionen entwickeln:
• Marketingkosten werden je nach Marktanteil oder Umsatzpotenzial aufgeteilt.
• Staffelmodelle zur Feinjustierung: Ein Unternehmen trägt anfangs mehr Kosten, erhält dafür
langfristig eine höhere Gewinnbeteiligung.
Objektive Kriterien nutzen:
• Die Kostenverteilung orientiert sich an Benchmarks und Marktstudien.
• Externe Analysen helfen, eine faire Struktur zu ermitteln.
Beide Unternehmen einigen sich auf eine flexible Kostenaufteilung, die sowohl Marktpotenzial als auch finanzielle Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Dies ermöglicht eine langfristige, stabile Kooperation mit transparenten und fairen Bedingungen.
Verhandeln nach dem Konfliktprinzip
Das konfliktorientierte Schranner-Konzept wurde von Matthias Schranner entwickelt, einem ehemaligen Verhandlungsführer der Polizei bei extremen Situationen wie Geiselnahmen. Sein Ansatz ist darauf ausgelegt, schwierige und festgefahrene Verhandlungen erfolgreich zu führen, insbesondere wenn klassische Methoden versagen. Das Konzept lässt sich wie das Harvard-Prinzip auf 4 zentrale Grundprinzipien zurückführen. „Verhandlungen nach diesem Prinzip mögen nicht die Regel sein, aber sie kommen vor. Gerade kleine und mittlere Betriebe sehen sich nicht nur wohlwollenden Partnern auf Augenhöhe gegenüber, sondern müssen in manchen Fällen mit harten Verhandlern zurechtkommen, die mit Druck zum Abschluss kommen wollen. Wer die Mechanismen derartiger Verhandlungen kennt, kann den Spieß umdrehen und ein Ergebnis nach seinen Vorstellungen erzielen“, betont Wolfgang Sparer.
Grundprinzip 1 ist eine sorgfältige Vorbereitung. Vor Beginn einer Verhandlung werden alle relevanten Aspekte umfassend analysiert. Dabei werden sowohl die eigenen Ziele, Stärken und Alternativen als auch die Interessen, Schwächen und möglichen Strategien der Gegenseite systematisch untersucht.
Auf Basis dieser gründlichen Analyse wird eine deutliche und selbstsichere Position eingenommen. Dieses zweite Prinzip betont, dass es unerlässlich ist, die eigenen Interessen und Werte klar zu kommunizieren, um die Verhandlungsposition zu festigen. Eine konsequente und überzeugende Darstellung der eigenen Standpunkte signalisiert der Gegenseite Stärke und verhindert vorzeitige Zugeständnisse. So entsteht der notwendige Raum, um strategisch zu verhandeln.
Der dritte zentrale Aspekt ist der kontrollierte Einsatz von Druck, um den Verhandlungsprozess aktiv zu steuern. Hierbei werden taktische Maßnahmen angewendet, die darauf abzielen, die Gegenseite zu klaren Reaktionen zu bewegen. Der strategische Druck basiert auf der vorangegangenen Analyse und der festen Positionierung und dient dazu, den eigenen Verhandlungsspielraum zu erweitern und die Dynamik des Gesprächs positiv zu beeinflussen.
Das letzte Prinzip des Schranner-Ansatzes ist die unerschütterliche Ausrichtung auf das angestrebte Ziel, verbunden mit der Bereitschaft, sich flexibel an den Verlauf der Verhandlung anzupassen. Während des gesamten Prozesses bleibt der Fokus auf das übergeordnete Ziel gerichtet, sodass Zugeständnisse nur dann gemacht werden, wenn sie im Einklang mit den Hauptinteressen stehen.
Zusammen bilden diese vier Grundprinzipien des Schranner-Prinzips einen strukturierten Rahmen, der es ermöglicht, Verhandlungen mit Klarheit und Stärke zu führen und erfolgreiche Ergebnisse zu sichern – allerdings auf Kosten einer nachhaltigen Verhandlungsbasis.
Beispiel für eine Verhandlungssituation nach dem Konfliktprinzip
Ein mittelständisches Unternehmen in der Automobilzulieferindustrie verhandelt mit einem Großkonzern über die Lieferung von Rohmaterialien. Der Großkonzern gibt deutlich zu verstehen, dass er sich überlegen fühlt und das KMU die Bedingungen zu akzeptieren hat.
Vorbereitung schafft Spielräume:
• Vor der Verhandlung wurde eine Marktanalyse durchgeführt.
• Der Konzern ist ein wichtiger Zulieferer – aber es gibt Alternativen, wenn es unbedingt nötig ist.
Harte Position:
• Es wird eine klare Forderung auf den Tisch gelegt.
• Der Käufer signalisiert, dass er bereit ist, die Verhandlung abzubrechen, wenn es zu keiner Einigung kommt.
Aufbau von Druck:
• Psychologische Hebel sind erlaubt – wesentlich ist, dass der „Kleine“ als ernsthafter Verhandlungspartner wahrgenommen wird.
• Entgegenkommen ist möglich – aber kein Geben ohne Nehmen.
Keine Abweichung vom Ziel:
• Das KMU hat eine klare Linie vor Augen und lässt das auch spüren.
• Dass Zugeständnisse der Gegenseite für diese schmerzhaft sein können, ändern daran nichts.
Durch gründliche Vorbereitung, eine unnachgiebige Positionierung, den gezielten Einsatz von Druck und konsequente Zielorientierung wird der eigene Vorteil maximiert – auch wenn dies zulasten der Gegenseite geht.
Fazit
„Manchmal kann man sich nicht aussuchen, welche Richtung Verhandlungen nehmen. Wichtig ist nur, in der jeweiligen Situation schnell und professionell zu reagieren“, fasst Wolfgang Sparer zusammen. Das Harvard-Konzept ist das erste Mittel der Wahl, wenn eine positive Grundstimmung herrscht, eine langfristige Beziehung wichtig ist und beide Seiten an einer fairen Lösung interessiert sind. Das Schranner-Konzept kommt zur Anwendung, wenn die Zeichen auf Sturm stehen und eine kompromisslose Verhandlung ohne Rücksicht auf Beziehungen geführt werden muss.
Quelle: Den Originalartikel finden Sie in der Tiroler Wirtschaft auf Seite 48.